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BeitragVerfasst: Sa 7. Sep 2013, 07:18 
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Tagebuch 31.12.2001
Nur noch wenige Stunden und dieses Jahr geht zu Ende. Ich bin ganz alleine in meiner kleinen Wohnung die mir schon so vertraut- und an’s Herz gewachsen ist. Es ist viel passiert in den vergangen 365 Tagen. Die Trennung von meinem Mann, der Umzug in meine erste eigene Wohnung und der Streit mit meinen Eltern. Diese haben mir zu Weihnachten Guetzli und Geld geschickt. Ich habe mich dafür bedankt, bin aber den Familienfeierlichkeiten fern geblieben. Ich will keinen Kontakt mit ihnen. Ich brauche Zeit. All diese Geschehnisse der vergangenen Monate wären selbst für stabile Gemüter nicht leicht zu verkraften, umso erstaunlicher dünkt mich, dass es mir recht gut geht. Oder müsste ich sagen – gerade deswegen, - weil ich so vieles gewagt habe?

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14.10.2008
Ein wunderbarer Herbsttag! Ich sitze hier auf meiner Terrasse und mein Blick schweift immer wieder ab – weg von der Tastatur der Schreibmaschine – hin zu den goldenen Herbstblättern an den Bäumen, den filigranen Spinnweben die sich sanft im Winde wiegen. Ich horche den Geräuschen, die mich umgeben. „Leiser Lärm“ entfernt fahrender Autos, dem Summen einer Biene, dem Brummen eines Kleinflugzeugs das über dem See seine Runden fliegt. Die Geräusche des Lebens hören sich zu jeder Jahreszeit anders an. Ich liebe den Herbst, das Licht, die Sonne…sei scheint so sanft.
Ich komme mit meiner Schreiberei nicht weiter und suche nach einer Lösung um die weiteren Jahre einigermassen gut bekömmlich wiederzugeben. Ich kenne nur ein einziges Buch in dem es dem Schreiber (714 –Seiten lang) gelingt, einen Menschen in seinem Gefangen-sein so spannend zu beschreiben, dass man nicht aufhören kann zu lesen bis zur letzten Seite. Solches will ich erst gar nicht versuchen und fasse die folgenden Jahre unter dem Motto – langweilig, langweilig, langweilig – zusammen. Meine beiden Helfer waren wirklich nicht zu beneiden. Sie mussten sich immer die gleiche Leier anhören: Ich kann nicht weinen, ich kann nicht schlafen, ich weiss nicht wer ich eigentlich bin, ich kann keine Nähe zulassen……..

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Herbst 2008
Schwierigkeiten in der Therapie! Herr W. und ich kommen in einem unserer Gespräche auf die Geschichte von Lot und seinen Töchtern zu sprechen. Ein heikles Thema für mich. Unsere Interpretationen betreffend dieser Bibelstelle klaffen auseinander. Wir reden aneinander vorbei. Die Situation gerät immer mehr aus den Fugen und ich rutsche während der Diskussion gefühlsmässig immer mehr in meine Vergangenheit zurück. Herr W. scheint nicht zu begreifen, wie schwierig seine Sichtweise für mich ist. Am Abend nach der Therapiestunde geht es mir so schlecht, dass ich in der Praxis anrufe. Ich tue das sehr selten und werde wegen dieser Schwierigkeiten immer wieder dazu ermutigt. Herr W’s Stimme tönt ungeduldig, ja genervt. Nach knapp drei Minuten beendet er unser Gespräch. Während der folgenden Stunde überrollen mich Blitzlichtbilder mit Szenen aus meiner Kindheit. Ich bin alledem hilflos ausgeliefert und kann sie nicht stoppen. Ich fürchte, meinen Verstand zu verlieren. In grösster Verzweiflung drücke ich einen kleinen Stoffbären an mein Herz und spüre wie ein schmerzhaftes Schluchzen aus meiner Kehle steigt. Ich kann zum ersten Mal weinen. Es sind zwar nur wenige Tränen – aber ich kann weinen. Dann beginnt mein Körper zu zittern, zu schlottern…………..
In der folgenden Therapiestunde nehme ich allen Mut zusammen und spreche Herr W. auf unser Telefongespräch an. Er meint, dass ich wie immer nicht zu spüren gewesen sei. Ich werde wütend! Richtig wütend. Diesmal hat er nicht Recht. Er will sich „herausreden“ und das ist nicht in Ordnung. Er muss meine Verzweiflung gespürt haben, auch wenn er mir dafür nur wenige Minuten Zeit liess. Ich spüre ein neues alt-vertrautes Gefühl in mir, das Gefühl des „an-mich-glaubens“. Diesmal zweifle ich nicht an mir, verurteile mich nicht für meine Unfähigkeiten - nein! Ich traue meiner eigenen Wahrnehmung und konfrontiere Herr W. damit. Er rekapituliert den Abend und erinnert sich, an jenem Abend einen dringenden Termin gehabt zu haben. Er habe darum so gar keine Zeit gehabt mit mir zu reden. Ich bin ihm dankbar für seine Ehrlichkeit, weil es mich darin bestärkt meinen Gefühlen wieder trauen zu dürfen. Herr W. ist ein authentischer Mensch, er mutet sich einem zu und nimmt damit auch zusätzliche Schwierigkeiten in Kauf. Das ist nicht immer einfach auszuhalten – bietet aber Stoff für Übertragungen - die „gemacht“ - nie möglich wären. Ich konnte erstmals wieder meiner eigenen Wahrnehmung trauen – unabhängig von Herrn W’s Rechtfertigungen. Eine der quälendsten Begleiterscheinungen meiner Krankheit war der Verlust meines ich’s. Ich bin mir verlorengegangen, auseinandergebröselt….Diese Erfahrung – dass ich erstmals wieder an mich glauben konnte – das war das erste Puzzleteil zu meinem neuen Selbst. Es war einer meiner schwierigsten Momente in meiner Krankengeschichte – und zugleich einer der Wichtigsten.
P.S: Ich sitze jetzt Herrn W. im berufsüblichen Abstand gegenüber! So, wie alle normalen Patienten das tun. ………………………

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Verfasst: Sa 7. Sep 2013, 07:18 


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BeitragVerfasst: Sa 7. Sep 2013, 08:14 
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Ach Timpe, immer wieder: danke für deinen Bericht!

Bei dir lese ich so klar mit, dass da im Inneren ganz, ganz viel passiert! Im Inneren geschieht altes Nochmal-Erleben, neues Erleben - alles wird in einer kurze Lebensspanne wiedergegeben (ein ganzes Leben in ein paar analytische Stunden gefasst). Welche Auswirkungen das hat! Es mutet fast seltsam an, wenn ich bei mir denke, ich bin schon so lange in Therapie. Es ist bei dir nachzulesen: "es braucht Zeit" ist ein inhaltsvoller Satz.

Um dies nachzuvollziehen und zu verstehen, braucht es ganz viel Nähe und Distanz zu sich selbst, (auch) um den Blickwinkel immer wieder zu ändern.


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BeitragVerfasst: Sa 7. Sep 2013, 08:49 
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Hallo, ich oute mich mal als Leser, wollte eigentlich nicht stören. Aber jetzt kann ich nicht mehr warten: Ich fand das so toll, wie du die Krise beschrieben hast, das Nicht-Verstehen, auch das von dir wahrgenommene Genervtsein des Therapeuten - etwas, das m.E. sehr gerne geleugnet wird, auch und gerade in guten therapeutischen Beziehungen. Weil nicht sein kann, was nicht sein darf. Aber in deinem 'Buch' darf es sein, und das berührt mich.

Mir kommt das bekannt vor: diese Unsicherheit: Kann ich meiner Wahrnehmung trauen? Das ist so schwer.


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BeitragVerfasst: Sa 7. Sep 2013, 21:46 
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Hallo sophila

Zitat:
um den Blickwinkel immer wieder zu ändern.


Auf welche Weise das auch immer geschieht! Ja! - da sagst du etwas Wichtiges.

und
Hallo titus

Zitat:
Hallo, ich oute mich mal als Leser, wollte eigentlich nicht stören. .......................etwas, das m.E. sehr gerne geleugnet wird, auch und gerade in guten therapeutischen Beziehungen. Weil nicht sein kann, was nicht sein darf....................


du störst nicht! :)
Und auch hier: Ja! Das passiert viel zu oft. Ich hatte Glück in meinem Therapeuten einen sehr ehrlichen, selbstkritischen und bescheidenen Menschen gefunden zu haben.

ein lieber Gruss zu euch
timpe

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BeitragVerfasst: Sa 7. Sep 2013, 21:48 
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In meinem letzten Beitrag (Schwierigkeiten in der Therapie! Herr W.....) : Herbst 2008 stimmt das Datum nicht. Es war Herbst 2002!

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BeitragVerfasst: Sa 7. Sep 2013, 21:52 
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Tagebuch Februar 2003
Ich sitze in meinem Wohlfühlsessel und höre meine neu erworbene CD. Schubert – die schöne Müllerin. Ich kenne diese Musik nicht und stülpe mir die Kopfhörer über die Ohren um dem Text besser folgen zu können:

Da muss in die Wolken
Der Vollmond gehen,
Damit seine Tränen
Die Menschen nicht sehn.

Da halten die Englein
Die Augen sich zu,
Und schluchzen und singen
Die Seele zu Ruh

Und wenn sich die Liebe
Dem Schmerz entringt
Ein Sternlein, ein neues,
Am Himmel erblinkt.

Da springen drei Rosen,
Halb rot, halb weiss,
Die welken nicht wieder,
Aus Dornenreis.

Und die Englein schneiden
Die Flügel sich ab,
Und gehen alle Morgen
Zur Erde hinab.

Ach, Bächlein, liebes Bächlein,
Du meinst es so gut:
Ach, Bächlein, aber weiss du,
Wie Liebe tut?

Ach, unten, da unten,
Die kühle Ruh!
Ach, Bächlein, liebes Bächlein,
So singe nur zu.

Gute Ruh, gute Ruh!
Tu die Augen zu!
Wanderer, du müder, du bist zu Haus…………………….

Gute Nacht, gute Nacht!
Bis alles wacht,
Schlaf aus deine Freude, schlaf aus dein Leid!
Der Vollmond steigt,
Der Nebel weicht,
Und der Himmel da oben wie es er so weit!


Meine Wangen sind nass…………….nass von vielen Tränen, derer ich mir erst jetzt bewusst werde, sie geweint zu haben. Ich erwache wie aus einem Traum. Schubert hat mich zum Weinen gebracht! Halleluja – ich kann weinen - wieder richtig weinen! Und – gibt es einen schöneren Weg zu den Tränen –Quellen als den über die Musik? Welch kostbares Vermächtnis haben uns diese Künstler, diese Genie’s doch gemacht!


Auszug aus einem Brief an Herrn W. 12.8.2003
Ich will nie mehr eine Beziehung eingehen, in der ich spüren muss, wie unwichtig ich bin. Und ich will nie mehr spüren wie es sich anfühlt alleine-gelassen zu werden. Noch weniger will ich spüren, dass Menschen erleichtert sind, mich zurückzulassen. Und ich will nie mehr diese Hilflosigkeit spüren, weil das alles immer wieder passiert und ich nichts daran ändern kann. Ergo muss ich meine Gefühle einfrieren. Immer wenn Menschen weggehen muss ich meine Gefühle einfrieren. Ich bedaure dies – meine Verhalten – aber ich kann es nicht ändern. Es ist anstrengend dies zu tun, ein Seelenstress! Ich wünschte mir, dass endlich alles aufhören möge….Es tut mir so leid!

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BeitragVerfasst: So 8. Sep 2013, 12:08 
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Auszug aus einem Brief an Herrn W. 5.6.2004

Immer öfters verstricke ich mich bei ihnen während der Therapie in frühkindlichen Gefühlswirrnissen aus denen ich alleine nicht mehr herausfinden kann. Es sind dann die Gefühle, die mich beherrschen – und nicht ich meine Gefühle. Ich schäme mich so unendlich, dass ich auf ihre ferienbedingten Absenzen so heftig reagiere. Ich möchte alles verbergen vor ihnen, aber es gelingt mir immer weniger. Ich schäme mich dieser schrecklichen Gefühle des „alleine-gelassen-werdens“……des „verlassen-werdens“. Ich ertrage sie kaum! Und einfrieren kann ich sie auch nicht mehr!!!!! Dann kommt der Hass- der Hass auf dieses so erbärmlich schreiende Wesen in mir, das nicht verlassen werden will – das ums geliebt-werden betteln möchte. Jenen Teil in mir, den ich ein Leben lang unterdrückt habe, - wenn nötig mit Gewalt. Weil es nichts genützt hätte – dieses betteln und dieses schreien. Doch die Ur-Sehnsucht danach bleibt!!!! Wie grandios und gleichzeitig furchtbar ist das alles. Ich bin so unendlich traurig ob alledem, weil ich ja ganz genau weiss, dass diese Ur-Sehnsucht niemals befriedigt werden kann! Nicht von Ihnen und nicht von der Körperfrau. Diese Einsamkeit die ich jetzt in mir spüre ist so bedrückend. Meine Tränen tropfen auf das Schreibpapier - ich bin so traurig.



Sommer 2004

Bald werden meine beiden Helfer wieder für längere Zeit in den Sommerferien weilen. Therapeuten dürften – wenn es nach den Bedürfnissen der Patienten ginge – keine Ferien machen!! Ich erkenne mich in meinen Reaktionen auf diese Absenzen meiner Helfer nicht wieder. Ich war nie so klammernd!!! Und ich verachte mich dafür. Ich bin ein erwachsener Mensch- und könnte doch jedes Mal flennen wie ein Kleinkind. Ein Teil (ein grosser Teil) in mir scheint die Beiden als verspätete Eltern adoptiert zu haben. Ich bin „ihr Kind“. Und das Kind ist dabei zu erwachen, spürt Dinge, die es vorher - in der Form - nie spüren musste. Ich hege die Befürchtung von den Beiden für meine neue Bedürftigkeit verachtet zu werden, Ablehnung auszulösen wie einst in meinen Kinderjahren. Die Abwesenheit der Körperfrau ist viel leichter zu ertragen als jene von Herrn W.. Die Körperfrau schreibt mir Karten von ihren Ferien und sie ruft mich auch mehrmals an wenn sie weg ist. So bleibt unser Kontakt bestehen und ich muss nicht mit Rückzug und Verlustängsten auf ihr Fernbleiben reagieren. Bei Herrn W. bricht der Kontakt ab, ich kann ihn nicht mehr spüren, er ist einfach weg – wie einst die Menschen in meiner Kindheit. Auch wenn es mir gelingt, in meinen Reaktionen die kindlichen Anteile meines Verhaltens klar zu erkennen – so nützt mir dieses Bewusst-sein überhaupt nichts. Meine Seele ist eine Bühne, und auf dieser spielen sie die Tragödie meiner Kinderjahre. Die Akteure lassen sich nicht aufhalten. Die Seele scheint einzufordern wessen sie bedarf….und mir tut es leid, dass diese so unbescheiden ist in ihren Wünschen…..



Tagebuch 21.7.2004

Heute lag im Briefkasten eine Karte zwischen den Rechnungen und dem Werbematerial. Ich erkannte die Schrift sofort. „Er“ hat „uns“ eine Karte geschrieben. Nach sechs Jahren bekomme ich eine Karte von meinem „Helfer-Freund“. Die Karte ist nicht nur mit einem der Standart-Grüsse beschrieben – nein, - sie erzählt in poetischer Weise eine Begebenheit seiner Ferien. Das Weiss des Papiers ist bis zum letzten Zentimeter vollgeschrieben. Ich halte die Karte in den Händen und spüre wie mir die Tränen die Wangen runterkullern. Ich trage die Karte hinauf in meine Wohnung und das kleine bedürftige Kind in mir ist glücklich – so glücklich. Und – ich kann es sehen und wahrnehmen dieses Kind! Ich nehme es „bei der Hand“ und freue mich mit ihm – spüre eine Zärtlichkeit für dieses verletzte / verletzbare Wesen. Ja – zum ersten Mal begegne ich meinem „inneren Kind“ auf diese Weise – auf eine so gute Weise!! Dankbarkeit und eine tiefe Demut vor dieser wunderbaren Erfahrung erfüllen mein Herz. Etwas in mir beginnt zusammenzuwachsen. Diese Karte ist ein weiteres Puzzle-Teil zu meinem „neuen“ Selbst.

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BeitragVerfasst: So 8. Sep 2013, 17:45 
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Traum:
Ich bin dabei ein überdimensional-grosses Kochgefäss zu putzen. Es ist nicht stark verschmutz, aber die eigebrannten Stellen machen mir zu schaffen und ich scheuere was das Zeug hält. Ein Mann tritt hinzu und meint, er kenne einen Trick um diese Arbeit schneller zu Ende zu bringen. Ungläubig wende ich meinen Blick zurück zu dem Kochgefäss, aber an seiner Stelle liegt jetzt eine nackte Frauenskulptur aus Metall. Der Mann erklärt, dass man nur mit einem starken Druck der Hände über die Figur zu fahren bräuchte und aller Schmutz wäre weg. Ich gucke mir die Figur genauer an und sehe, dass überall scharfkantige Metallteile aus ihrem Körper ragen. Ich will nicht, dass der Mann sich meinetwegen verletzt und mache ihn auf die Gefahr aufmerksam. Aber er hört nicht auf mich und mit Entsetzen sehe ich, wie seine Hände mit einer gewaltigen Bewegung über die ganze Skulptur fahren. Ich bin mir sicher, dass er sich dabei schwer verletzt haben muss und will seine Hände sehen. Er hält sie mir hin, lächelt voll Zärtlichkeit und Verständnis, aber die Hände sind wie zum Beten gefaltet. Er zeigt mir die Innenflächen seiner Hände nicht.
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Herbst 2004

Etwas in mir ist dabei sich zu verändern. Mein erstarrtes „ich“ beginnt sich zu regen, beginnt zu leben. Wie sehr habe ich mir das gewünscht und wie lange Jahre habe ich darauf warten müssen. Und jetzt, da ich das „Tauwetter“ in meiner Seele spüre, macht es mir Angst, grosse grosse Angst. Ich habe meine Gefühle nicht mehr in der Weise unter Kontrolle, wie ich mir das wünschte. Ich fühle nicht mehr neben mir – nein – die Gefühle sind dabei meine Seele zu betreten. Der Schmerz ist nicht mehr diffus, er ist erkennbar und lässt sich nicht mehr abschieben in’s Nirgendwo. So habe ich mir das nicht vorgestellt. So archaisch und würdelos! Ich wollte meine Gefühle in bewährter Hollywood-manier zurück. Dramatisch, erschütternd und ergreifend sollte es sich schon präsentieren – aber bitte schön mit der nötigen noblen Selbstbeherrschung!! Nur diese – mit äusserster Anstrengung aufrecht erhaltene Beherrschung war meiner würdig! Niet!!! Nichts von alledem. Stattdessen muss ich notfallmässig mit grauenhaften Bauchkrämpfen zum Notfallarzt. Am Sonntag! Verheult und grau im Gesicht. Ungeschminkt notabene! Nichts macht nackter als Seelenschmerz. Ich staune, dass mein elendiges Gefühl des Klein-seins noch so grosses Steigerungspotenzial hat. Während so vieler Jahre habe ich mir nichts sehnlicher gewünscht, als wieder am Leben teilhaben zu können, wieder fühlen zu können. Aber so? Nein – so war’s nicht gedacht. Schuberts Winterreise ist mir nah….Ich träume viel.

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Traum:
Ich stehe im Parterre eines Hauses. Ein Paternoster ist dauernd in Bewegung. Auf der ersten Etage sieht man ein Pärchen das sich küsst, dann folgt ein Ehebett und in der nächsten Etage steht ein Stubenwagen. Daneben liegen Kinderkleidchen. Die folgende Etage ist leer. Ich betrete diesen eigenartigen Lift. In einem der oberen Stockwerke verlasse ich den Lift und sehe einige Frauen die anscheinend gerade in einer Teamsitzung sind. Alle Frauen tragen meine Kleider, was mich sehr verärgert. Eine Frau verlässt die Runde und verschwindet mit eiligen Schritten in einem Zimmer am Ende des Flurs. Ich beobachte wie ein Mann aus dem Paternoster steigt und der Frau folgt. Ich weiss, er wird die Frau töten. Sie ist verloren.
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Auszug aus einem Brief an Herrn W. Herbst 2004

Es fühlt sich gut an am Leben zu sein. Und – es ist das erste Mal dass ich ihnen solches schreiben kann. Nicht schlecht …oder?



Auszug aus einem Brief an Herrn W. Dezember 2004

In meiner Seele ist es wieder düster geworden. Meine Seele, ja mein ganzer Körper schmerzt und ist voll Trauer und Schwermut. Immer wenn ich glaube, dass ich bei ihnen „sowas wie Liebe fühlen“ zulassen kann, lösen sich diese in Selbstzweifel und Ängsten auf. Ich spüre dann keine Verbindung mehr zu ihnen. Gleichzeitig weint meine Seele danach, sie anzurufen um ihre Stimme zu hören. Warum macht mein Innenleben diese Zick-Zack-Kurse????

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Traum:
Ich befinde mich am Bahngeleise. Vor mir stehen zwei Zugkompositionen. Neben mir wartet eine Frau auf die Zugseinfahrt und scheint unschlüssig zu sein, ob sie einsteigen soll. Instinktiv weiss ich, dass wir ganz vorne einsteigen müssen. Kaum hat sich die Waggontüre hinter uns geschlossen, fährt der Zug auch schon ab. Der Zug durchrast furchterregende Gebirgstäler, entlang von grässlichen Abgründen. Mir gegenüber sitzt ein Mann. Am Ziel angekommen stehe ich auf und gebe dem Mann zum Abschied die Hand. Dabei verspüre ich einen heftigen Schmerz. In seiner Hand sehe ich eine Rasierklinge. Der Mann hat mir die Pulsadern aufgeschnitten. Unsere Blicke begegnen sich. Darin sehe ich ein grosses Einverständnis. Seine Augen vermitteln Vertrauen und Wärme, - ja sowas wie Liebe. Das Blut fliesse aus mir heraus und ich setze mich wieder hin. Ich weiss, dass ich sterben werde. Aber es fühlt sich unglaublich gut an. Es ist gut!
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Tagebuch Jan. 2005
Einem Mann meine Gefühle zu zeigen kostet mich enorme Überwindung. Die Furcht mich dabei angreif- und verletzbar zu machen ist riesengross.

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Traum:
Ich hüte Schafe. Ein Mutter- und zwei Jungtiere. Ich sehe, dass ihre Augen von einer Haut bedeckt sind, so als seien sie blind. Ich versuche diese milchig-weisse Haut zu entfernen. Bei den Jungtieren gelingt es ganz gut und es bleibt nur eine ganz kleine Verletzung zurück. Bei dem Muttertier schaue ich ganz entsetzt auf das Resultat: Mit der Haut ist das komplete Auge herausgekommen.
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BeitragVerfasst: Mo 9. Sep 2013, 15:34 
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Tagebuch 21.2.2005
Ich habe das Tagebuch der Laura Palmer gelesen. Herr W. hat es mir weiterempfohlen. Es hat mehr in mir ausgelöst als ich erwartet habe. Ich fühle mich nicht gut, die Dämonen meiner Kindheit sind wieder ganz lebendig geworden. Ich weiss nicht was mit mir los ist. Ich bin jetzt manchmal so wütend auf Herr W. dass ich beim Gedanken, ich könnte wie mein Vater werden zu weinen beginne. Ein entsetzlicher, abscheulicher Gedanke!


Auszug aus einem Brief an Herrn W. 6.4.2005
Bald ist es Mitternacht und ich weiss, dass ich keinen Schlaf finden werde. Ich schäme mich so sehr für mein Verhalten ihnen gegenüber. Wenn ich daran denke, wie viel Gutes ich schon von ihnen bekommen habe, wird mir ganz elend zu Mute. Nie hätte ich gedacht, dass ich jemals soooo wütend auf sie werden könnte – und jetzt passiert es einfach. Ich kann es nicht aufhalten, das Böse in mir siegt. Während ich das schreibe tropfen Tränen der Verzweiflung auf das Schreibpapier. Diese trotzig-stolze Wut hat mir schon in meiner Kindheit viele Schwierigkeiten eingebracht. Ich konnte einfach nicht so diplomatisch sein wie meine Geschwister. „Er“ sollte spüren, dass man meinen Willen nicht brechen kann. Ich wollte vor seinem Jähzorn nicht kapitulieren, dafür hätte ich mich lieber totschlagen lassen. Übrigens hatte ich gar keine Wahl – ohne diese trotzig-stolze Wut hätte ich nicht weiterleben können. Es war für mich die einzige Möglichkeit zu überleben!
Ich glaube, ich bin wütend weil ich sie mag, und ich glaube ich bin wütend weil sie so liebevoll und freundlich sind, dass ich nicht anders kann, als sie zu mögen. Manchmal wünschte ich mir, sie würden mir einen Grund liefern sie zu hassen. Das wäre viel einfacher.


Brief an Herrn W. 25.4.2005
Der Frau geht es nicht gut, sie ist müde. Gefühle der Wut und der Trauer wechseln sich im Eiltempo ab. Die Frau ist wütend, weil sie das demütigende Gefühl von Verlassenheit spüren muss. Und- sie muss auch den beschämenden Neid ertragen, den sie auf alle Menschen spürt, die so selbstverständlich zum Leben ihrer beiden „Helfer“ gehören. Die Beiden haben sich ganz leise und geduldig in das Herz der Frau geschlichen. Dort wohnen sie nun und bürden der Frau „sowas-wie-Liebe-fühlen“ auf. Die Frau kann ihr Herz nicht mehr schützen, sie liebt in ihnen die Mutter die sie nie hatte-, den Vater den sie nie hatte,- den Freund den sie nie hatte. Und sie spürt wie viel Liebe ihr Zeit ihres Lebens gefehlt hat. Dann wird ihr so elend, dass sie am liebsten tot umfallen würde. Aber das funktioniert nicht, sonst wäre sie schon lange tot umgefallen. Bei „ihm“ ist alles viel schwieriger, weil ihr mit Männern die Erfahrung fehlt. Dann ist sie unbeholfen und findet nicht die richtigen Worte. Die Frau möchte „ihm“ sagen, dass es bei ihr nichts zu verstecken gibt. Sie kann sich nicht in „ihn“ verlieben, weil es sich inzestuös anfühlen würde ihn zu lieben. Aber das „so-was-wie-Liebe-fühlen“ ist trotzdem tief und tut jetzt oft weh, weil sie darin eine ganz grosse Trauer und Sehnsucht spürt. Die Frau weiss, dass „er“ verstehen wird, was die Frau „ihm“ zu sagen versucht.
In den alten Bäumen vor dem Küchenfenster erklingt der melodiöse Gesang einer Mönchsgrasmücke. Die Stimme dieses Vogels wird die Frau Zeit ihres Lebens in Gedanken in die Räume ihrer Praxis zurücktragen. Dann wird ihr Herz voll Wehmut sein, weil der Gesang des Vogels sie daran erinnern wird, wo sie gelernt hat, Gefühle wie „so-was-wie-Liebe-fühlen“ zuzulassen.

In traurig-wütender Dankbarkeit
Die Frau.


Auszug aus einem Brief an die Körperfrau 23.1.2006
Mein Herz ist verzagt beim Gedanken daran ihnen mein Anliegen – auf einen 14-Tage-Rhythmus überzugehen – vorzuschlagen. Aber vielleicht wird ihr Herz bis zum Ende des Briefes damit einverstanden sein. Ich muss endlich lernen meine Schwierigkeiten – die fast immer im Verlauf meiner Therapie bei Herrn W. entstehen – da anzugehen, wo sie auch entstehen – bei „ihm“. Das wird nicht leicht werden, aber ich will es versuchen. Sie- aber auch ich – wir beide wissen, dass meine Seele sich Herrn W. als „Übertragungsopfer“ ausgesucht hat. Ich bin froh, dass er mich aushalten kann. Ich weiss, dass all dies- mein ganzer Prozess – ohne ihre Hilfe, diesen Rückhalt den sie mir gegeben haben – nie möglich gewesen wäre. Für all die liebevolle Zuwendung die ich von ihnen während so vieler Jahre bekommen habe danke ich ihnen von Herzen. Dieses grosse Geschenk einer in die Tiefe gewachsenen Beziehung macht mich glücklich.
In Gedanken umarme ich sie und danke ihnen für all ihre Liebe die sie mir gegeben haben.
In grosser Zuneigung, ihre Frau S.



Auszug aus einem Brief an Herrn W. 9.2.2006
Mir ist so elend zu Mute. Ich weiss, dass all diese Gefühle der Selbstentwertung absurd- und nur Deckmantel für tiefere Schichten sind. Ich mag einfach nicht mehr hinsehen. Es ist ja immer die gleiche Leier: Ich schäme mich soooo unendlich, dass ich auf ihre Ferien wieder!!! so heftig reagieren muss. Es ist so qualvoll und peinlich, dass ich meine Verlustangst über ihre Person spüren muss. Ich hasse diese Abhängigkeit. Und dann hasse ich mich. Ich schäme und verabscheue mich. Ich bin eine erwachsene Frau. Ja- ich hasse diesen Ur-Schrei der Bedürftigkeit, der aus tiefster Seele kommt! Aber all das habe ich schon x-mal an-und ausgesprochen. Ich will nicht ständig zu so einem elenden Menschlein zusammenschrumpfen. Mich ängstigt der Gedanke, dass ich zu einer Weiterentwicklung nicht fähig sein könnte. Und warum können nicht mal ihre Karten dies verhindern? Was mich übrigens tief beschämt und traurig macht und mir das Gefühl gibt, ihrer Antwort auf meine Verzweiflung nicht würdig zu sein.

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Taum:
Menschen zwingen mich zu einer Mutprobe. Ich muss mich unter ein riesengrosses Sägeblatt legen. Dieses wird mir den Bauch aufreissen. Nicht lebensbedrohlich, aber es blutet stark. Nach einiger Zeit erklärt man mir, dass es sich nur um einen „Probelauf“ gehandelt hätte, die eigentliche Mutprobe stehe noch bevor. Nur würde ich die nicht überleben können. Ich kriege grosse Angst und springe von der Liege. Die Menschen sehen mich voll Verachtung an – ich habe versagt. Ich fühle mich ganz elend und lege mich auf ein Bett. Man bringt mir einen Säugling und legt ihn neben mich. Es ist ein Knäblein, mein Kind – und es heisst Felix. Jetzt weiss ich, dass meine Entscheidung richtig war – egal wie verächtlich mich die Menschen behandelt haben. Ich betrachte das Kind voll Zärtlichkeit und beginne es zu liebkosen.

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BeitragVerfasst: Di 10. Sep 2013, 17:04 
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Tagebuch Frühling 2006
Meine Seele fordert mich derzeit ganz gewaltig, überflutet mich regelrecht mit Gefühlen und Gedanken. Dem Gefühl, ganz am Anfang meines „seins“ angelangt zu sein, so als hätte ich in den vergangenen Jahren meine Geschichte rückwärts zu den Wurzeln aufgerollt. Mir ist, als müsste ich nochmals das ganze Weh meiner Kinderjahre spüren. Ich weine viel und lange. Mir ist bewusst, dass dieser machtvolle Impuls zu Herrn W. zu springen dem verzweifelten Wunsch entspringt, ich – (das Kind) könne damit meine Geschichte korrigieren, quasi neu schreiben. Ich weiss selbstverständlich wie unmöglich das ist. Aber es ist so schwierig, all das kindlich-verzweifelte zuzulassen und gleichzeitig wie ein erwachsener Mensch zu handeln. Weil ja auch der erwachsenen Anteil von dem ganzen Elend mitgerissen wird! Dann wünscht man sich nur noch, dass da jemand wäre, der einem hilft all das Elend auszuhalten. Ich bin ungeheuer müde und erschöpft und frage mich, wie viel Trauer und wie viele Tränen meine Seele noch von mir einfordert bis ihr genüge getan ist…..



Frühjahr 2006
Die Frau setzt ein Fuss vor den Andern….Ihr Kopf ist gesenkt, die Hände in den Taschen vergraben. So geht sie vor sich hin….Eine Stunde, und noch Eine….Um sie herum Autolärm und Menschen. Alles nah und dennoch weit weit weg. Sie ist verzweifelt. So verzweifelt, dass sie nicht mehr weiterleben kann. Die einst stolze und starke Frau gibt es nicht mehr. Sie ist am Ende.
Es wird Abend. Die Frau kann nicht nach Hause zurück. Diesmal nicht. Sie will nicht sterben, aber sie kann nicht leben. Halb ohnmächtig vor Elend steht sie vor der Praxis ihres Therapeuten. Sie braucht Hilfe. Sie drückt die Klingel. Ein Summen gibt die Türe frei. Ihr Kopf kann nicht mehr denken. Sie geht die wenigen Stufen hoch und steht im Gang vor dem Therapiezimmer. Die Türe öffnet sich - die Frau steht vor dem Thera - sagt, dass sie das nackte Elend sei. Sie werde sterben, weil man sowas nicht überleben könne.
Der Thera nimmt die Frau in seine Arme. Sie hört sein Herz schlagen. Er streicht ihr über das Gesicht – so wie man einem Kinde über das Gesicht streichelt, wenn es traurig ist. Zart und fein - ein Hauch nur.....Nie zuvor hat sie ein Mensch auf diese Weise in die Arme genommen. So – als sei sie ein Kind. Ruhe durchströmt den müden Körper der Frau.
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Traum:
Ich sitze im Zug. Mit mir im Abteil befindet sich ein älteres Ehepaar. Der Mann ist dickbäuchig und hässlich. Die beiden steigen aus. Meine Fahrt ist noch nicht zu Ende. Der Zug fährt ganz nah an einem Haus vorbei. Dieses wirkt unfertig und unordentlich. In der offenen Haustüre steht das Ehepaar vom Zug. Auf einmal fliege ich. In den Armen halte ich – fest umklammert – ein Kissen. Ich fliege über das unheimliche Haus, das so nah am Abgrund steht, dass ich Angst hätte, darin zu wohnen. Ein aufgewirbeltes Blatt Papier klebt an meinem Körper, es lässt sich nicht abschütteln und haftet an mir wie eine Klette. Ich fliege auf einem Abgrund zu. Noch immer versuche ich verzweifelt das Blatt loszuwerden. Dabei fällt mir das Kissen aus den Händen. Ich stürze ab…..falle….
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Auszug aus einem Brief an Herrn. W. 15.10.2006
Es gibt Briefe die ich nur schreiben kann, weil ich mir vorstelle, dass sie ihn nie zu lesen kriegen. Ich hasse es, über Liebesgefühle zu schreiben und darüber reden will ich schon ganz und gar nicht. Es bereitet mir allerhöchste Pein und Scham einen Menschen damit zu belästigen. Des Weiteren ist das Liebes-Gleichgewicht in einer Therapie eine so verdammt einseitige Sache, dass man schon ein Übermensch sein müsste, wenn einem dies nicht immer wieder zur Qual würde. Die Therapie- die Beziehung zum Therapeuten – sie ist eine Neuauflage gelebter alter Beziehungen. Man kommt quasi als Baby und wächst und wächst…..Vielleicht befinde ich mich jetzt im Stadium der Pubertät…..Mein Trotz und meine Wut würden da ganz gut reinpassen. Ich habe mir auch viele Gedanken zur Echtheit dieser (meiner) Gefühle gemacht. Sie sind echt – auch wenn ich das lange Zeit zu bestreiten wusste. Das macht ja alles so schlimm und so unerträglich. In letzter Zeit hatte ich oft den Eindruck, dass sie mir die Fähigkeit tief fühlen zu können – absprechen. Ich kann’s! - Ja- während vieler Jahre war ich „blockiert“ , total „blockiert“ sogar. Depression hemmt nun mal die Gefühle und auch das Denken. Aber heute bin ich nicht mehr permanent depressiv. Also kann ich auch wieder fühlen UND denken. Ich möchte jetzt oft wegrennen, weg von ihnen, weg von der Therapie. Ich habe grosse Angst, dass sie mein wachsendes „ich“ nicht bejahen, nicht leiden könnten. Das Kind – aber eben auch die viel erwachseneren Anteile (dazu gehört auch mein Frau-sein), sie gehören zusammen. Beide machen mein „ich“ aus. Verstehen sie??? Ich bin dabei zusammenzuwachsen!


Tagebuch 2.11.2006
Ich bin gelaufen. Ich bin stundenlang durch die Stadt gegangen. Ich bin am Ende. Nach sooo vielen Jahren bin ich am Ende. Ich habe mich in meinen Therapeuten verliebt. Gesteh’s dir ein – arme Närrin! Reihe dich ein in den Kreis der bedauernswerten Psychopatientinnen die in den vielen Fachbüchern seziererisch genau beschrieben sind. Ab sofort gehörst du dazu – bist eine von ihnen. Närrin……die du bist!!!!


Tagebuch 3.11. 2006
Die furchtbaren Bauchschmerzen, nicht mehr essen können, das Gefühl sterben zu müssen….arme Seele, warum hast du die Zeichen nicht erkannt?

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BeitragVerfasst: Do 12. Sep 2013, 18:17 
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Brief an Herrn W. 1.12.2006
Die Frau kommt jetzt schon acht lange Jahre zu ihrem Helfer. Vielleicht war sie nicht immer die Mutigste, aber sie hat durchgehalten – auch in schwierigen Zeiten. Nun ist der Ort, der ihr so viel Sicherheit und Geborgenheit gegeben hat selbst zur Quelle von Problemen geworden. Die Frau wollte das nicht, ihr Unbewusstes hat sich monatelang dagegen gewehrt….Mit Magenschmerzen, nicht mehr essen-können…..Die Frau weiss, dass ihre Gefühle „normal“ sind. Und die Frau weiss, dass ihr Helfer sie mag, er hat ein grosses Herz. Die Frau wünscht sich sie möge einen Platz in – eben diesem haben, aber das steht ihr nicht zu. Sie möchte geliebt werden, - aber das steht ihr nicht zu, sie verspürt Neid auf alle Menschen die ihm nahe sein dürfen, aber das steht ihr nicht zu. Und sie möchte immerzu gehalten werden, - aber das steht ihr nicht zu….Die Frau spürt alles worauf sie kein Anrecht hat, haben darf. Gefühle kann man nicht steuern und die Frau weiss in welch unmögliche Lage sie ihren Helfer mit alledem bringt. Der Frau tut das alles sehr leid. Und sie kennt die Antwort die auf all diese Wünsche kommen muss, sie kennt ihren Platz. Ersparen sie sich (und mir) diese Worte, sie wären schlimmer als das Schweigen. Die Frau kann nicht mehr zu ihrem Helfer kommen und bittet diesen, ihren Entscheid zu akzeptieren.
In Gedanken umarme ich sie und danke ihnen für alles was sie mir gegeben haben…

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Traum:
Ich nehme an einem Wochenend-Seminar teil. In meiner Gruppe sind zwei Männer. Es fällt mir immer noch schwer unbefangen mit diesen zu sprechen. Aber ich erachte es als guten Übungsplatz und die Männer sind sehr nett. Der eine ist sehr schweigsam und verunsichert mich mit seinem Verhalten. Trotz dieser Schweigsamkeit wirkt er interessiert und aufmerksam. Ich bleibe mit ihm allein zurück und frage ihn nach seinem Namen und seiner Tätigkeit. Er habe ein Geschäft, sagte er – er verkaufe Knöpfe. Er lächelt….nur Knöpfe, ausschliesslich Knöpfe. Ich verliere ihn aus den Augen. Es wird dunkel. Da sehe ich den Mann hinter mir stehen. Er beobachtet mich. Ich gehe zu ihm hin und sehe, dass er überall an seinem Körper Verletzungen hat. Überall ist Blut. Ich rate ihm die Verletzungen zu reinigen und zu desinfizieren und biete ihm meine Hilfe an. Er will meine Hilfe nicht annehmen. Auf meine Frage nach dem Warum antwortet er, dass das Gleichgewicht zwischen uns dann aus den Fugen geraten würde, ich hätte schon genug für ihn getan. Es müsse ausgeglichen bleiben.

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Antwort-Karte von Herrn W. 3.12.2006
Liebe Frau S.
Haben sie Dank für ihren schmerzvollen, liebevollen, traurigen Brief. Er ist sehr offen und so sehr ehrlich und hat mich sehr berührt! Aber ich möchte unbedingt mit ihnen über den Brief sprechen und ich denke, das werden wir beide – sie und ich – schaffen. Ich erwarte sie wie immer am…..
Ganz herzlich , Ihr Herr W.


Tagebuch 5.12.2006
Ich bin hingegangen. In die Therapiestunde. Am Dienstag! Schwierig, schwierig………………….


Tagebuch 18.12.2006
Ich bin so erleichtert, dass ich bei Herrn W. keine Ablehnung spüre. Ohne Grenzen zu überschreiten bejaht er mein wachsendes „ich“, - auch mein Frau-sein. Etwas in mir beginnt sich zu verändern. Während fast zehn Jahren war ich ein wandelndes „es“, jetzt bin ich wieder eine Frau. Aber im Gegensatz zu früher hat die Seele jetzt einen Körper und der Körper eine Seele. Ich muss nicht mehr entweder das eine- oder das andere sein. MEIN KÖRPER UND MEINE SEELE GEHÖREN ZUSAMMEN !!!!!


Tagebuch 2. 1. 2007
Diese furchtbare Wut die ich jetzt oft auf Herrn W. spüre… - auf die ganze Welt. Herr W. hat mir Guetzli zum Kaffee angeboten – gebacken von seiner Frau! Ich hätte ihm die Dinger fast an den Kopf geschmissen……..


Tagebuch 22.1.2007
Ich heule, heule, heule, heule………


Auszug aus einem Brief an Herrn W. 27. O1..2007
Wissen sie eigentlich wie viel Mut und Kraft notwendig waren, um mich ihnen so verletzbar zu zeigen wie ich es ende vergangenen Jahres getan habe??? Haben sie solches schon gemacht? Sich so zu zeigen- wohl wissend, dass der Andere mit dieser Liebe nichts anzufangen weiss, dass ihm alles nur peinlich sein muss? Es ist nicht notwendig, dass sie ihren Zivilstand ständig in unser Gespräch einfliessen lassen. Ich bin nicht blöd, mache mir nichts vor….es ist also unnötig dies alleweil zu erwähnen. Ich weiss im Moment überhaupt nicht wie weiter….Gibt es für mich in dieser Geschichte noch einen guten Weg zu gehen, oder müsste ich das ganze beenden, bevor alles vor die Hunde geht? Ich bin jetzt oft des Trauerns und des Weinens müde….


Tagebuch Anfang Februar 2007
Abrupter Wechsel von feinen, leisen Gefühlen und grosser Wut…..
Schmerz, als würde man mich ohne Narkose operieren….Kann man Liebe mit Tränen ermorden? Liebe / Hass – Seite an Seite, Hand in Hand….In die Gegenrichtung zum Herzen gehen….Ich kann alles annehmen, auch den Schmerz und die Liebesgefühle, wenn er/sie in seiner Steigerung die Freiheit bringt………

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BeitragVerfasst: Fr 13. Sep 2013, 06:41 
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Auszug aus einem Brief an Herrn W. Sommer 2007
Ganz am Anfang meiner Therapie, als ich so viele Psychologiebücher gelesen habe, weil ich meine Krankheit verstehen wollte, las ich von vielerlei Schwierigkeiten die im Laufe einer Therapie auftreten können. Ich las von Übertragung und Gegenübertragung, (ohne wirklich zu verstehen was damit gemeint ist). Und ich las von Liebesgefühlen der Patienten und von Eifersucht auf Partner und Familie. Und ich schwor mir damals, dass ich solches nie zulassen würde. Ich würde abhauen bevor es zu spät dazu sein würde. Nun ist es zu spät und ich mache alles genau so wie es in besagten Büchern beschrieben ist – alles was ich schwor – nie, niemals – zu tun. Ich – die ich nie eifersüchtig war, die das „besitzen-wollen“ von Menschen vehement verurteilt hat…ich bin alles!!!!!!!!!



Tagebuch September 2007
Ich lese das Buch „Im Schatten junger Mädchenblüte“ von Marcel Proust und meine Tränen tropfen auf die aufgeschlagene Buchseite. Was ich hier lese ist so wunderschön, dass ich es aufschreiben muss.
Zitat: Wenn man liebt, ist die Liebe zu gross um ganz in uns enthalten zu sein; sie strahlt aus auf die geliebte Person, trifft in ihr auf eine Fläche, an der sie nicht weiter kann, und ist dadurch gezwungen, zu ihrem Ausgangspunkt zurückzukehren; in dieser Rückwirkung unseres eigenen zärtlichen Gefühls glauben wir dann das Gefühl des andern zu erkennen und lassen uns viel stärker bezaubern als auf dem Hinweg, weil wir es nicht mehr als das unsere wiedererkennen.

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BeitragVerfasst: Fr 13. Sep 2013, 06:53 
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TimpeTe hat geschrieben:
Wenn man liebt, ist die Liebe zu gross um ganz in uns enthalten zu sein; sie strahlt aus auf die geliebte Person, trifft in ihr auf eine Fläche, an der sie nicht weiter kann, und ist dadurch gezwungen, zu ihrem Ausgangspunkt zurückzukehren; in dieser Rückwirkung unseres eigenen zärtlichen Gefühls glauben wir dann das Gefühl des andern zu erkennen und lassen uns viel stärker bezaubern als auf dem Hinweg, weil wir es nicht mehr als das unsere wiedererkennen.


Ich denke, das trifft genau den Zustand bei der unerfüllten, aussichtslosen, einseitigen Liebe.

btw
Liebe Timpete, ich lese hier auch sehr gerne mit und finde deinen Weg ganz erstaunlich.
Dich sowieso :d:
Deine Träume sind ja teilweise so klar ein Abbild dessen, was sich in dir abspielt.
:knuddel:
Bouncy

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BeitragVerfasst: Fr 13. Sep 2013, 07:31 
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*winke* - Nur mal so als Rückmeldung - dass mich Deine meisten Einträge auf eine staunende Art sprachlos lassen, aber ich lese nicht nur mit, ich "gehe" mit.

Ja, Du bist erstaunlich, Timpe, eine Frau, die mir sehr "reich" erscheint ...


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BeitragVerfasst: Fr 13. Sep 2013, 08:20 
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Danke euch beiden! Ich denke, morgen folgt dann das "Finale". Ein gutes -ein sehr gutes "Ende" sogar .....
:wink:

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BeitragVerfasst: Fr 13. Sep 2013, 11:52 
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Tagebuch September 2007
Ich ertrage das Gefühl des alleine-seins nicht mehr und kämpfe dagegen an wie ein Insekt das versucht eine Scheibe zu durchfliegen – wie ein Kind in seinen archaischen Urwünschen…..mörderische Einsamkeit – vertraute Schwärze….Weggefährten meiner Kindheit.


Auszug aus einem Brief an Herrn W. - September 2007
Seit sich mein Herz entschlossen hat sie zu lieben (und ich weiss immer noch nicht genau welcher Art diese Liebe ist) geht mein Gefühlsleben unkontrollierbare Wege. Was ich mit Sicherheit weiss, ist, - dass ich diese Liebe (auf welche Weise auch immer) stets in mir tragen werde. Ich glaube, ein stark verletzter Mensch muss es wagen alle Scham und alle Hemmungen fallenzulassen um an seine tiefsten Gefühle zu gelangen. Er muss wagen zu lieben, und er muss um heil zu werden daran glauben dürfen (es zu glauben wagen) ebenfalls geliebt zu werden (von seinem Arzt). Dann wachsen ihm (dem Patient) Flügel von deren Existenz er nichts gewusst hat. Dann entsteht ein grosses Gefühl von Freiheit, frei-sein…..
ABER immer wenn ich glaube „an diesem Ort angekommen zu sein“ amputiere ich mir diese Flügel unter grossen Qualen.


Tagebuch Ende September 2007
Ich bin so erleichtert, dass Herr W. mich annimmt wie ich bin. Er verachtet mich nicht. In seinen Augen ist immer noch ganz viel Wärme….Und wenn ich es wage zu glauben, dass ich liebenswert bin, dann spüre ich die Flügel……


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Traum:
Ich spaziere an einem See entlang und beobachte, wie ein Mann einem Schwan schwere Verletzungen zufügt. Entsetzt renne ich zum Ufer. Der Schwan entsteigt dem Wasser und flüchtet sich in meine Arme. Ich bin tief berührt von der Tatsache, dass das Tier ausgerechnet bei mir (einem Menschen, der ja für sein Unglück verantwortlich ist), Hilfe sucht. In dieser Geste liegt so viel Vertrauen und Demut, dass es mir fast das Herz zerrreisst vor Weh. Der Schwan stirbt in meinem Armen.

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Tagebuch Dezember 2007
Ich werde mir Mozarts Don Giovanni zum Weihnachtsgeschenk machen. Ich denke, dass ich dieses Werk jetzt verstehen kann.


Brief an Herrn W. 19.12.2007
Ich war so aufgewühlt nach unserer letzten Therapiestunde. Ich wollte dieses Jahr zusammen mit ihnen verabschieden – so, wie es ihm gebührt hätte. Stat dessen fülle ich die ganze Stunde mit Gejammere!! Schande über mich! Nur – die aktuellen Ereignisse waren so heftig, dass meine Seele in den kurzen Stunden der Ruhe vor unserem Treffen nicht genügend Zeit gefunden hat, um den nötigen Abstand zu gewinnen. Das bedrückt mich jetzt. Aber vielleicht hätte ich sowieso nicht die richtigen Worte gefunden. Mir wäre es wichtig gewesen ihnen Folgendes noch zu sagen; ……Dass ich ganz viel Liebe für sie spüre, das wissen sie. Aber diese Liebe ist dabei sich von ihnen als mein Therapeut zu lösen. Sie verselbständigt sich, wird zum Selbstläufer, sprengt die Grenzen der Praxisräume und dehnt sich aus….weit in’s Universum hinaus. Um diese Liebe herum ist ganz viel Freiheit gewachsen – auch für Neues. Wie- oder was dieses „Neue“ beinhalten mag ist unwichtig. Trotzdem – die Liebe, sie wird bleiben. Denken sie, dass Liebe etwas Göttliches ist? Es müsste eigentlich so sein.
In diesem Sinne – mögen die Götter sie im kommenden Jahr gut behüten. Leben sie wohl und bis zum nächsten Jahr.

Ihre Frau S.

Antwortkarte von Herrn W. 22.12.2007
Ja, auch für mich ist Liebe etwas göttliches…..Sie erinnern sich an die Figur von E.Kelly in Basel? Sie will fliegen, denke ich, in den Himmel, in die Ewigkeit…..
Mit lieben Grüssen , ihr Herr W.


Tagebuch Ende Dezember 2007
Es ist die Liebe die heilt, sagt mein „König“……

ENDE

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BeitragVerfasst: Fr 13. Sep 2013, 11:53 
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Das mörderische Gefühl der Abhängigkeit ist darnach nie mehr zurückgekommen. Ich war- und blieb - frei! Es hat fast zehn Jahre gedauert!
timpe

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BeitragVerfasst: Fr 13. Sep 2013, 12:15 
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Herzallerliebeste Timpe,

dass du das hinbekommen hast! Gratuliere!


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BeitragVerfasst: Fr 13. Sep 2013, 13:33 
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Wunderbar!


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BeitragVerfasst: Sa 21. Sep 2013, 05:52 
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Das Wort - heilt - hätte ich in Anführungs-und Schlusszeichen setzen müssen. Es trifft zwar bedingt zu – aber eben - nur bedingt.. Etwas, das heil ist, ist "unbeschädigt". Das bin ich nicht - nicht im klassischen Sinne. Meine Belastbarkeit ist nicht mehr zurückgekommen – und ich bin ein traurigerer Mensch als vor meinem Zusammenbruch. Aber das was ich heut bin, ist viel echter. Das bin ich.

Was sich „heil“ anfühlt ist das Gegengewicht das jetzt in der Waagschale „Leben“ liegt. Wenn man sich nicht als liebeswert empfinden kann, dann bleibt das Gewicht auf dieser Lebenswaage nämlich sehr sehr einseitig verteilt.….Das kann langfristig nicht gut gehen. Ich will nicht behaupten dass meine Waage jetzt immer im Lot wäre – nein, so ist das nicht. Aber sie ist nie mehr aus meinem Inneren heraus in eine krankmachende Schieflage geraten. Wenn – dann waren es massive äussere Einflüsse die mich durcheinander gebracht haben. Gegenüber den schlechten Erfahrungen liegen jetzt auch ganz viele Gute in der Waagschale….

Die ganz üblen „offenen“ Wunden haben sich geschlossen – die Narben bleiben…

Und auch die eine – die noch nicht abgeheilt ist, die wird sich noch schliessen. Da bin ich mir sicher. Fragt sich manchmal nur - wann :rolleyes: ……

ein schönes Wochenende euch allen....
timpe

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BeitragVerfasst: Sa 21. Sep 2013, 12:38 
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Die Narben - ja. Ich versuche, sie wie die allmählich kommenden Fältchen mit Würde zu tragen, als "Ehrenzeichen" vielleicht sogar, für den bestandenen Kampf ....

Dir auch ein schönes Wochenende.
Und einen lieben Gruß,
Yve


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